Nichts bleibt wie es ist...

Zum Glück gehöre ich nicht zu jenen Zeitgenossen, die darauf vertrauen, dass etwas von Dauer wäre. Weder das, was die Natur hervorbringt, noch – und erst recht nicht – das, was der Mensch mit seinen Händen erschafft, etwa Gebäude aus Stein und Beton. Denn wenn es so etwas wie Gewissheit gibt in diesem Universum, dann die, dass nichts bleibt, wie es ist.


Stiegenaufgang zur Turmbrücke / #1 | August 2023 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.203


Alles ist in Bewegung – die kleinsten Teilchen ebenso wie die großen Zusammenhänge. Der Wandel ist kein Ausnahmezustand, sondern das Prinzip, nach dem die Welt, das Sonnensystem, die Milchstrasse und das Universum sich dreht und alles von uns erschaffene und auch wir selbst sind diesem Prinzip unterworfen.

Wandel und Veränderung zeigen sich nur dem, der auch zurückblickt – der das Gestern kennt, um die Veränderung im heute zu sehen. Dieser Blick für das, was sich verändert, begleitet mich seit vielen Jahren am Wienfluss. Ein Ort der mir vertraut ist wie kaum ein anderer, der Abenteuerspielplatz meiner Kindheit. Dort, wo der Fluss (fast) nie aufhört zu fliessen, habe ich gelernt, dass nichts bleibt, wie es war.

Und man wäre nicht das Tier „Mensch“, würde der Wandel, wenn er sich einmal wieder deutlich zeigt, nicht auch etwas in uns aufwühlen – einen leisen Schimmer vergangener Zeiten, eine sanfte Sehnsucht nach dem, was war. Es gehört zu unserem Wesen, dass Veränderungen nicht nur das Neue ans Licht bringt, sondern auch das Vergangene in Erinnerung ruft.

Am Wienfluss heute unterwegs zu sein – allein oder in Gesellschaft jener, die dem Wienfluss mehr abgewinnen können als bloßes Rinnsal – bedeutet für mich eine Art Übergang. Eine kleine Brücke zwischen den Zeiten, ganz ohne die Notwendigkeit einer Zeitmaschine, wie sie H. G. Wells anno 1895 erdacht hat - eine Zeit in der, der Wienfluss auch schon mittendrin in großen Veränderungen war.

Das führt mich zu einer Brücke. Einer, die mehr war als bloß eine Querung – ein Übergang, der uns Kindern von damals wie ein kleiner Triumph erschien - hatten wir das Tor erstmal „umklettert“. Oft waren wir unterwegs - Silvia, ihr Bruder Franz, ihrer Schwester Barbara und ich.


Die kleine Stiege, fast wie vor 42 Jahren | April 2014 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.202

Ein Blick in die Vergangenheit | April 2014 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.201

Natürlich war das Ganze nicht ganz ungefährlich – halsbrecherisch, wie man so sagt. Damals vielleicht aus kindlicher Sorglosigkeit, heute eher, weil die Leichtigkeit von Zwölfjährigen einem im Lauf der Jahre irgendwo zwischen Verantwortung und Körpergewicht abhandenkommt. Und doch – der Impuls, hinüberzusteigen, ist geblieben. Nur die Überwindung dazu dauert heute etwas länger.

Kaum hatten wir die Absperrung überwunden und die Brücke betreten, liefen wir los – über das alte Holz, das damals schon Geschichte atmete und das inzwischen, bis vor kurzem nur noch ehrwürdiger geworden war. Wenn ich heute daran zurückdenke, spüre ich förmlich das alte Holz unter meinen Füßen, ganz besonders in den Momenten, in denen ich wieder einmal ohne meine Badeschuhe aus Plastik unterwegs war – barfuß dem hölzernen Boden ausgeliefert.


Eine kleine Brücke in die Freiheit | Juni 2024 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.199

Holz zum Rüberlaufen | Juni 2024 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.200

Diese kleine Unbequemlichkeit war Teil des Abenteuers, ein Gefühl von kindlicher Freiheit in der Welt.

Weiter ging es dann zu unserem Turm und flussaufwärts entlang der Mauerkrone zu weiteren Abenteuern, Erkundungen oder Erlebnissen. Heute denke ich wir waren sehr froh, dass die Erwachsenen uns hierher nicht folgten. Wir waren unter uns, hatten unsere Ruhe und konnten tun und lassen was wir wollen.

Für mich war es mehr als ein Ort. Es war ein Entkommen, ein stilles Ausscheren aus dem Zusammenleben mit meiner Mutter, deren Verhalten sich wie ein Schleier über mein Denken legte, bis ich Jahre später lernte, ihn abzulegen. Erst dann begann ich, mein eigenes Leben zu gestalten – in eine andere Richtung, weg von dem, was mir beinahe mitgegeben worden war wie ein zu schwerer Koffer: der Alkohol, die Unfähigkeit, schlimme Dinge ruhen zu lassen, sie vergehen zu lassen und ständig zu bedauern und rückwärtsgewandt zu leben.


Eine Brücke ohne dem Dazwischen / #1 | Juli 2025 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.197


Eine Brücke ohne dem dazwischen / #2 | JJuli 2025 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.198

Alles wandelt sich – unaufhörlich. Auch dieser besondere Ort bleibt davon nicht verschon - die Brücke durchzogen von Spuren und Erinnerungen, ist im Umbruch. Seit über einem Jahr wird erneuert, verschönert, angepasst – zum Wohle der Wiener Bezirke, die sich entlang der Wien ausbreiten.

Der alte hölzerne Boden ist nun Vergangenheit - er ist weg. So wie alles entlang des Wienflusses irgendwann Vergangenheit wird. Die Geschichte der Regulierung, der Stadt und auch meine eigene.

Manchmal denke ich, dass eine Zeitmaschine doch schön wäre. Aber nicht um zu korrigieren, um einzugreifen - zumindest nicht am Wienluss. Nur um zuzuschauen, wie es war - wie wir dort unserer Abenteuer erlebten . Nicht eingreifen, nichts verändern.


Was bleibt is die Erinnerung an Holzsplitter / #1 - | Juli 2025 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.196

Was bleibt is die Erinnerung an Holzsplitter / #2 | Juli 2025 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.195

Stiegenaufgang während dem Umbau | August 2025 © Herbert Koeppel - Kat. No. D2025.194


Denn alles, was war, hat mich geformt. Auch der Wienfluss. Wer wäre ich heute – ohne meine Wienfluss-Erinnerungen?


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