Im Kühlhaus der Bilder / Blog
An Sommertagen kann der Weg vom Wiener Hauptbahnhof zum Foto Arsenal länger wirken, als er tatsächlich ist. Die Sonne steht hoch, der Asphalt speichert die Hitze, man geht, schweigt, schwitzt und denkt irgendwann, dass das Foto Arsenal vielleicht Erholung verspricht - visuell, geistig, vielleicht sogar körperlich.
Dann die Tür zum Foto Arsenal, kühle Luft schlägt einem entgegen, dazu das leise Surren der Klimaanlage. Es riecht nach kontrollierter Temperatur. An der Kassa ein kurzes Gespräch – sachlich, freundlich, aber bestimmt: Der Rucksack gehört ins Kästchen, denn Ordnung muss sein. Noch schnell aufs WC, bevor der Körper gegen die Kunst arbeitet. Dann Jacke, Flasche, Notizbuch – alles wird verstaut.
Man wird leichter, bevor man sich aufmacht, das Gewicht der Bilder zu tragen.
1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, eine Zahl, die Eindruck machen soll und es auch tut, wenn man selbt eine kleine Galerie mit knapp 30m2 mitbetreibt. An den Wänden Arbeiten von Henri Cartier-Bresson. Der Name allein verpflichtet zur Aufmerksamkeit. Doch schon nach wenigen Minuten spüre ich, dass es ein langer Weg wird durch diese Ausstellung.
240 Fotografien, ein Angebot, das an Großzügigkeit kaum zu übertreffen ist, aber auch ein bisschen an Überforderung grenzt. Ich ahne früh, dass meine Konzentration irgendwo zwischen Bild 80 und 100 anfangen wird zu bröckeln, sich aufzulösen in eine Mischung aus Müdigkeit und diffusem Widerstand.
Das liegt nicht an Cartier-Bresson. Er wusste, was er tat. Das richtige Licht, der richtige Moment, das richtige Maß. Aber auch das Richtige kann, in zu großer Zahl, seine Wirkung verlieren.
Ich frage mich, ob es wirklich notwendig ist, alles zu zeigen, was man zeigen kann. Oder ob nicht eher der Raum selbst, diese 1000 Quadratmeter, gefüllt werden sollten um jeden Preis. Ein Drittel zu zeigen hätte im Foto Arsenal auch gereicht, dann aber auch nur die wirklich starken Aufnahmen und vielleicht etwas größer präsentiert, dafür mit Glas, das nicht spiegelt.
Denn das stört wieder einmal. Die Spiegelungen sind kein Nebeneffekt, sie sind Teil der Erfahrung. Man steht vor einem Bild und sieht auch sich selbst und das Gesicht, das man mitgebracht hat. Hätte ich mehr Haare, hätte ich wohl irgendwann einen Kamm gezückt. So blieb es beim Gedanken und beim Versuch, durch mein eigenes Spiegelbild hindurch zu Cartier-Bresson vorzudringen.
Die Atmosphäre im Raum - dunkel. Spot auf die Bilder, alles andere versinkt im Grau. Wie bei einem Dinner im Dunkeln, nur eben für die Augen. Zwischendurch kleine Tafeln mit Texten. Ich lese sie, manche zweimal andere wiederum kaum und die kleinen Beschriftungen unter und neben den Bilder lenken wieder mal ab - der Blick pendelt zwischen Beschriftung und Bild hin und her. Später höre ich, viele lesen sie sowieso überhaupt nicht.
Noch bevor ich die Hälfte der Ausstellung hinter mir habe, fühle ich, das hier ist ein Kühlhaus. Kein offizielles, versteht sich. Aber das Gefühl ist eindeutig, denn ich trage Sandalen, eine dünne Sommerhose und ein T-Shirt. Es ist kalt, nicht ein bisschen, sondern richtig. Ich schleiche mich zurück zum Kästchen, hole meine Jacke. Das hilft, nur das Kopftuch vergesse ich und bereue es für den Rest der Ausstellung.
Zehn Euro Eintritt pro Person, kein Vermögen, aber auch kein Geschenk. Zumal das Haus, so viel ich weiß, großteils von der Kulturabteilung der Stadt Wien finanziert wird und doch gibt es auch hier kein Geld für entspiegeltes Glas. Wahrscheinlich, weil man lieber Fläche füllt als Wirkung pflegt, denn 1000m2 müssen ja immer bespielt werden. Ich halte durch, nicht aus Pflicht, sondern aus Respekt vor Cartier-Bresson. Doch der Wunsch, am Ende noch den Ausstellungskatalog zu mitzunehmen, verliert sich in der Kälte. Ich will nur raus.
Draußen ist es wärmer. Trotz des Himmels, der sich grau über alles legt und bereits beginnt, seine Schleusen zu öffnen. Wind kommt auf und Regen folgt. Das Katalog bleibt drinnen, die Erinnerung nehme ich immerhin mit.
Aber ich werde wiederkommen und viellicht gibt es auch mal weniger Bilder bei mehr Licht zu sehen. Beim nächsten Mal, egal ob Juli oder Jänner werde ich besser vorbereitet sein. Mit Thermounterwäsche oder wenigstens einer warmen Hose, sowie einem Mützchen für den Kopf, der ja bei mir keinen natürlichen Schutz mehr kennt und im Winter wird es dann wohl mehr sein müssen.
Man lernt dazu - auch beim Kunstschauen.
Ob dort die zweite Ausstellung von Christine de Grancy an diesem Tag eine tiefergehende Betrachtung verdient hätte, kann ich nicht sagen. Nach 240 Bildern von Cartier-Bresson und dem Gefühl, innerlich durchgefroren zu sein, war meine Aufmerksamkeit irgendwie erstarrt.
Die großformatigen Prints, versehen mit schöner, aber schwer lesbarer Handschrift, forderten mehr Aufmerksamkeit, als ich noch zu geben bereit war. Vielleicht tue ich Christine de Grancy Unrecht, aber irgendwann ist auch das feinste Auge satt. Zu viele Bilder, zu kalt die Räumlichkeiten und am Ende zu wenig Entschlossenheit, um sich noch einmal ganz einzulassen.
„Eins reicht“, schreibt Sebastian H. Schroeder in seinem klugen Buch über das bewusste Auswählen von Fotografien. Ein Leitsatz der für mich auch für Ausstellungen gilt, eine Schau pro Haus, mehr braucht es nicht - mehr überfordert nur. Man könnte Schroeders Buch gut sichtbar im Foto Arsenal auflegen, vielleicht gleich neben dem Eingang, als stille Mahnung für jene, die entscheiden, was und vor allem wie viel an die Wände darf.
Für mich jedenfalls gilt, dass eine Ausstellung am Tag genug ist. Meine Aufmerksamkeit ist begrenzt und das ist kein Mangel, sondern eine Wohltat. Denn erst das richtige Maß gibt dem Erleben Tiefe. Alles „Mehr“ droht zu alles verschwimmen zu lassen und das spätere Nachdenken über das Gesehene findet nicht mehr statt.
Link:
- Foto Arsenal Wien
Kommentar zum Thema "Im Kühlhaus der Bilder
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