Wir sind so frei… / Ansichtssache / Blog


Zunächst ist da der Gegensatz von Stein und Schrift, zwischen Körper und einer Botschaft. Im Vordergrund eine Frauenstatue, nackt, für manche eventuell sinnlich, vielleicht auch verträumt - die Arme erhoben, die Hände am geneigten Kopf angelehnt - im Hintergrund ist in großen Lettern zu lesen „Wir sind so frei…

Es gibt eine klare Trennung zwischen Hintergrund und die den Vordergrund dominierte Statue - die Schrift ist irgendwie ein Kontrapunkt dazu. Wenn es eine Diagonale gibt, dann die zwischen Text und Statue und die lenkt den Blick zwischen diesen beiden Bildelementen hin und her. Figur und Schriftzug haben etwas miteinander zu tun.


Wie alle meine Bilder seit mehr als einem Jahrzehnt ist es ebenfalls in Schwarzweiß gehalten. Nichts lenkt ab - der Fokus liegt auf Formen und Kontrasten. Trotz bedeckten Wetters betont das Licht die Oberfläche der Statue - man sieht Wetterspuren, Risse - Patina. Verwitterung und Alterung, gleichzeitig bleibt die Figur in Pose jugendlich - vermeintlich als Statue ewig. Der Hintergrund ist bewusst durch die Ausarbeitung dunkel gehalten, die Schrift ist plakativ, laut - wie Werbung so eben ist.

„Wir sind so frei“ - dieser Satz aus einer Bierwerbung wirkt in Verbindung mit der Statue durchaus doppeldeutig. Befreiung, Selbstermächtigung oder einfach nur ein scharfer Kommentaror zur Darstellung von Weiblichkeit als Objekt? Genau das fordert zur Interpretation heraus - von Mann, von Frau wahrscheinlich jeweils anders verstanden.

Der Schriftzug ist Teil einer Werbung, die Statue zeigt Freiheit und Ästhetik - aber es geht auch um die stille gesellschaftliche Zuschreibungen im Bezug auf den weiblichen Körper. Obwohl die Statue schon länger dort stehen dürfte, so ist der Schriftzug der aktuellen Gegenwart entnommen. Schönheit, Freiheit sind vielleicht das eigentlich Stille Thema dieses Bildes - die Spannung dazwischen ergibt sich aus einem, vielleicht sehr rückwärtigen Blick auf die Frau - allerdings wahrscheinlich auch mit leiser Zustimmung der Gesellschaft, wenn auch hinter verschlossenen Türen.

Technisch gesehen steckt da nicht viel dahinter. Eine alte Nikon im FX-Format, dazu ein noch älteres Objektiv – lichtschwach, im Weitwinkel ordentlich verzerrend. Vor zehn Jahren hätte ich so ein Glas nicht einmal in die Nähe einer 36-Megapixel-Kamera gelassen. Heute sehe ich das anders. Und ehrlich gesagt: So wichtig ist das alles gar nicht mehr.

Die Belichtungsdaten? Haben mich hier nicht interessiert. Die Zeit-Automatik hat sich um Zeit gekümmert – und mich davon befreit, kreative Energie auf Dinge zu verschwenden, die ohnehin oft überschätzt werden. Einzig die Entscheidung, dass die Blende so weit wie möglich bei diesem Objektiv aus dem Altglas-Kontainer geöffnet ist, war gezielt.

Mit dieser Kamera bin ich in letzter Zeit wieder gerne unterwegs. Nicht, weil sie besonders gut wäre. Sondern weil sie einen optischen Sucher hat. Man kann sich auf Motivsuche machen, ohne sie überhaupt einzuschalten. Man beginnt nicht mit dem Starren auf einen Bildschirm, sondern mit dem Blick durchs Glas.

Das ist, wenn man so will, mein persönlicher Ersatz für eine Leica M11-D. Mein rückwärtiges Display, dort, wo wir sonst hinglotzen, Histogramme lesen, auf die perfekte Belichtung hoffen - ist mit schwarzem Isolierband abgeklebt. Was ich früher bei Leicas mit dem "D" im Namen eher belächelt habe, ergibt für mich inzwischen vollkommen Sinn. Ohne den ständigen Blick zurück aufs Display bin ich näher dran an dem, was ich eigentlich tun will - fotografieren und konzentrierter arbeiten. Eine Leica M-D kann ich mir nicht leisten, aber ein Stück Klebeband tut’s auch.

Anschließend ging das Bild durch die üblichen Waschprogramme: Lightroom Classic und ja, ihr habt richtig gelesen – SilverEfex in der Version 2.0. Diese Software, die sich einmal vorgenommen hat, die Atmosphäre der analogen Dunkelkammer ins Digitale zu übertragen, ist inzwischen in die Jahre gekommen und längst gibt es eine Version 8.0.

Warum ich sie nicht benutze? Ganz einfach - Ich brauche sie nicht, mehr noch, je größer der Funktionsumfang, desto kleiner mein Bedürfnis, mich damit zu beschäftigen. Früher mochte ich solche Spielwiesen. Heute schrecken mich vollgepackte Bildbearbeitungsprogramme eher ab.

Entstanden ist dieses Bild im Rahmen meiner Linza.Hatscha – so nenne ich ein Projekt, das mich nun schon seit einiger Zeit begleitet. Die Idee dahinter ist einfach, vielleicht sogar ein wenig eigensinnig - jede einzelne Straße in Linz zu Fuß abzugehen und zu sehen, was mir unterwegs begegnet. Der Versuch, mich fotografisch von dem leiten zu lassen, was da ist. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, manchmal bleibt man stehen, ohne genau zu wissen, warum. Aber genau darin liegt wohl der Reiz.

Nun seid ihr am Zug – oder besser gesagt: am Auslöser. Wie schon beim ersten Beitrag in dieser Reihe erwähnt, würde mich auch hier ein anderer Blick auf dieses Bild interessieren. Vielleicht fällt euch etwas auf, das mir entgangen ist. Vielleicht denkt ihr weiter, wo ich stehen geblieben bin. Wenn ihr Gedanken, Ideen oder ganz eigene Sichtweisen habt, schreibt mir gerne – als Kommentar oder per eMail. Und falls ihr einverstanden seid, würde ich eure Ansichtssache hier im Blog zeigen. Denn manchmal beginnt Verstehen ja genau dort, wo jemand anders hinschaut.

Links:
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Linza.Hatscha
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Blog Kategorie "Ansichtssache"




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Wer meine fotografischen Wege und Gedanken unterstützen mag – sei es durch Interesse, Weitererzählen oder ein kleines Zeichen der Wertschätzung – dem gilt mein herzlicher Dank.